Magnolien sind für mich die schönsten Bäume die es gibt. Sie sind zwar das gesamte Jahr über recht unscheinbar, aber im April wenn sie anfangen zu blühen kann ich mich nicht satt sehen an ihren Blüten und ihr Duft raubt mir schier die Sinne.
Deswegen war es für mich schon immer klar. Dort wo ich eine Magnolie pflanzen würde, dort war mein Zuhause. Dort war ich so zufrieden und ausgeglichen, dass ich einen kleinen Baum einpflanzen konnte und ihm jahrelang beim wachsen zu sehen konnte. Dort würde ich bleiben und mit meiner Magnolie alt werden.
Das erste Mal, dass ich im Baumarkt eine Magnolie kaufte und in dem kleinen Garten vor dem besetzten Haus, in dem ich wohnte, eingrub, war im Jahre 1998. Nachdem ich mein Abitur beendet und mein Studium abgebrochen hatte, war ich erstmal einige Zeit herum gereist. Nichts besonderes.
Nicht mit dem Pferd durch die Mongolei geritten oder zu Fuß durch die Taklamakan gelaufen. Ich war in Australien im Outback, wie fast jeder meiner damaligen Freunde. Ich raftete in Neuseeland und ich surfte in Südafrika. Ich schaute mir Tempel in Thailand an und ich fuhr Moped auf den Inseln von Indonesien. Als ich wieder daheim war, dachte ich, dass ich die Welt gesehen hätte und meine Rastlosigkeit die ich mir immer eingebildet hatte damit vorbei war. Ich lebte nonkonform in der Hausbesetzerszene und verfasste intelligente Texte über die Kritik am Kapitalismus, die wir in diversen selbstverlegten linken Zeitschriften unter die Leute brachten. Ich war nun bereits 27 Jahre alt und ich war mir sicher, das sich mein Leben nicht mehr grundlegend ändern würde. Das besetzte Haus hatte dann auch irgendwann einen legalen Mietvertrag, was wir zwar alle ein wenig schade fanden, da damit die revolutionäre Luft ein wenig raus war. Dafür war es praktisch nicht permanent räumungsbedroht zu sein und man konnte endlich anfangen sich richtig einzurichten. Die Möbel vom Sperrmüll flogen raus und wir machten einen Großeinkauf bei IKEA. Klar nicht ganz korrekt.
Aber keiner von uns hatte ja so richtig Kohle. Die Unterstützerparties im Haus nahmen ab, da keiner mehr so richtig Lust hatte, sich seine neu eingerichtete Bude mit Szene-Graffiti verschandeln zu lassen. Und auch die ganzen besoffenen obdachlosen Punks, die früher unsere Freunde waren, nervten nun auch ziemlich, weil sie immer die teuren Biolebensmittel wegschnorrten. Wir fingen an die Türen abzuschließen und Gemüse im Vorgarten anzupflanzen. Ganz im Stile vom damals aufkommenden Urban Gardening warfen wir in diesem Zuge auch einige Saatbomben auf Verkehrsinseln und Grünanlagen und hatten verstanden wie die wirkliche Welt außerhalb der bürgerlichen Herrschaftsstrukturen funktionierte. Ich hatte mich in diesem gesellschaftlichen Gegenentwurf eingerichtet und es war klar, dass ich in diesem erkämpften Freiraum für immer bleiben würde. Änderungen waren nicht abzusehen und gewünscht schon gar nicht. Als ich dann eines Tages von meinem Frühstückstee auf und in den Vorgarten schaute, es war wohl so gegen 11 Uhr, realisierte ich, dass nun der Zeitpunkt gekommen war. Meine Verwurzelung mit diesem Projekt, welches ja mein Leben war, mußte durch das Einpflanzen einer Magnolie zum Ausdruck gebracht werden. Und schon drei Wochen später war es soweit und ich pflanzte meine Magnolie ein. Die Magnolie, die mit mir zusammen groß und alt werden würde. Die mir für immer eine Heimat sein würde. Sollte ich mich einmal verloren fühlen und mir alleine vorkommen, müßte ich nur aus meinem Fenster schauen, diesen wundervoll gewachsenen Baum sehen und ich war verwurzelt und geerdet wie zuvor. Wie die Realität aussah mußte ich schon bald feststellen. Unser ehemals besetztes Haus war mittlerweile ja ziemlich etabliert und die Konzerte die wir
veranstalteten waren bestens besucht. Auch die selbstverwaltete Kneipe war recht einträglich und die ganze Gegend um uns herum war die letzte Zeit ziemlich aufgewertet worden, weil all unsere Freunde hierher gezogen waren, was man an den deutlich gestiegenen Mietpreisen sehen konnte.
Eines schönen Tages weckte unser Kiez bei Investoren Begehrlichkeiten. Der Mietvertrag wurde dann auch nicht verlängert und das Gelände samt unserem schönen Haus von der Stadt an den meist bietenden Immobilienhai verkauft. Inklusive des Vorgartens und seinem Bewuchs.
Nach einigen hitzigen, aber fruchtlosen Debatten über verteidigen oder aufgeben, zog dann die eine Hälfte völlig unsolidarisch aus und kassierte die Abfindung, während die andere Hälfte so mit sich selber beschäftigt war, dass sie deren Auszug gar nicht mitbekommen hatte.
Es dauerte dann auch nicht mehr lange bis das Haus abgerissen wurde. Kurz darauf ging der Investor allerdings unerwartet insolvent und bis heute kann man an dieser Stelle eine Baulücke bewundern, in der ein knorriger niedrig gewachsener Magnolienstrauch dahin vegetiert, der im Frühjahr kaum Blüten trägt.
Ich hatte aus meinen Rückschlägen in der alternativen Szene gelernt und mich von meinen alten ehrgeizlosen Mitstreiter distanziert. Nicht dass wir uns im Streit getrennt hätten, aber wir entwickelten uns einfach auseinander.
Ich besann mich auf meine bürgerliche Wurzeln, mein Vater war verbeamteter Lehrer, denn ich wollte mehr erreichen als nur Träumen und Idealen hinterher zu jagen und am Ende doch zu scheitern. Ich wollte wirklich etwas erreichen und die Welt ein wenig besser machen.
Der Beruf des Lehrers schien mir am besten dazu geeignet zu sein, die heranwachsende Generation zu einer toleranten Weltanschauung zu erziehen und damit schlußendlich die gesamte Gesellschaft ein wenig freundlicher zu machen. Am besten ging das mit Deutsch und Geschichte. Zwei trockene Fächer, sicherlich, aber ich glaubte in der Lage zu sein, sie frisch und lebendig rüber zu bringen.
Ganz am Anfang meines Studiums lernte ich meine damalige Freundin kennen. Sie studierte Kunst und Englisch, ebenfalls auf Lehramt. Wir waren schon fast 5 Jahre ein Paar, als wir beschlossen zusammen zu ziehen. Zuerst wollten wir eine Wohnung mieten, aber wenn das geplante Kind erst unterwegs war, hatten wir vor diese dann zu übernehmen und zu kaufen. Ich legte bei der Wahl unseren neuen Zuhauses Wert auf einen gepflegten Garten, damit ich meinen lang gehegten Traum einer mit mir alt werdenden Magnolie wahr werden lassen konnte. Denn das ich nun am Ende meiner Suche angelangt war, war mir völlig klar. Als mich dann meine Freundin kurz nach dem Einzug damit überraschte, dass sie einen niedlichen kinderlieben Hund mitbrachte, machte die Sache richtig rund. Wir freuten uns beide sehr und malten uns unsere glückliche Zukunft in den buntesten Farben aus. Was zu meinem, was zu unserem Glück noch fehlte, war eine Magnolie in unserem Garten. Ich holte mir die Genehmigung von unserem Vermieter dafür ein, der damit einverstanden war, so lange ich im Herbst das Laub zusammen rechte.
Ich fing dann mit meinem Referendariat an, welches ich leider nicht in unserer Stadt machen konnte. Die Entfernung zu meiner Schule war so ungeschickt, dass es sich nicht lohnte dort ein Zimmer unter der Woche zu nehmen, doch zum täglichen pendeln war es zu weit. Da ich aber am Abend bei meiner Freundin sein wollte, entschloss ich mich das Pendeln in Kauf zu nehmen und kam abends immer sehr spät und erledigt heim. Ich wärmte mir das Essen, welches sie gekocht hatte auf, ging noch eine Runde mit dem Hund und fiel dann auch todmüde ins Bett. Unser Sexualleben litt damals ein wenig darunter, aber wir beruhigten uns damit, dass es ja für eine absehbare Zeit war.
An einem Tag in den Schulferien ging ich los und besorgte uns eine bereits recht ansehnliche Magnolie mit einem ausladenden Wurzelballen. Diesen Traum von einem Baum ließ ich mir ordentlich was kosten, aber ich wollte das Risiko nicht eingehen, dass er nicht genügend Zeit zum wachsen hatte und den Winter nicht überstand. Mit meinen eigenen Händen und dem Spaten unseres Vermieters hob ich ein Loch aus, welches groß genug war das gewaltige Wurzelwerk auf zu nehmen.
Die Faustregel beim Einpflanzen einer Magnolie ist, dass das Pflanzloch doppelt so breit und ein Drittel tiefer wie die Wurzeln sein soll. Es war also eine ordentliche Schufterei, kann ich sagen. Als ich die Gießkanne absetzte, mit der ich den eben eingepflanzten Baum ordentlich gewässert hatte, wischte ich mir über die dreckige Stirn, atmete einmal überflüssig laut aus und war mächtig stolz auf mein Werk.
Das meine Freundin zu dieser Zeit bereits eine Affäre mit dem Nachbarn von gegenüber hatte, dessen Namen ich mir einfach nicht merken konnte, obwohl ich ihn eigentlich sehr nett fand, wußte ich nicht.
Es dauerte noch einige Zeit, bis ich in einem unschönen Moment hinter ihr Verhältnis kam.
Die schon in den Anfangsvorbereitungen steckende Hochzeit war dann auch kein Thema mehr und kurz darauf verließ sie mich, um ein Haus weiter einzuziehen.
Alleine konnte ich mir die Wohnung nicht mehr leisten, zog aus und ließ meine teure Magnolie in der Hoffnung zurück, dass sich der nächste Mieter um sie kümmern würde.
Nach dieser herben menschlichen Enttäuschung stürzte ich mich voll in die Arbeit. Ich war nun Lehrer in Festanstellung. Ich rackerte so sehr, dass ich kaum zu meinem einstündigen Mittagsschlaf kam, was zur Folge hatte, dass ich einen Hörsturz bekam und damit nicht genug, kurz darauf einen schmerzhaften Bandscheibenvorfall. Der lang andauernde Krankenstand wirkte sich nicht so gut auf meine Anwartschaft zum Beamten aus, weswegen mein Antrag zurück gestellt wurde. Man kann sagen es ging mir zu dieser Zeit ziemlich bescheiden. Körperlich angeschlagen und psychisch etwas labil überlegte ich mir wie mein Leben denn weiter laufen sollte. Ich sah in allem keinen Sinn mehr und wenn ich aus dem Fenster meiner billigen Mietswohnung sah, blickte ich nicht auf eine blühende Magnolie, sondern in einen schäbigen Hinterhof, der so schäbig war, das in ihm noch nicht mal irgendwelche Kids die Zeit mit Klebstoffschnüffeln totschlugen. Ein trauriger Anblick und er entsprach exakt meiner damaligen Stimmung. Zum Glück war ich privatversichert. Meine Reha
ging daher etwas länger und sie war auch ein bißchen ausführlicher, wie bei einem meiner Kollegen, der nicht verbeamtet werden würde. Und während mir ein weiterer Monat Krankengymnastik verschrieben wurde, kam es zu einem erfreulichen Wechsel bei den Therapeutinnen. So lernte ich Sabine kennen.Wir sind jetzt zwar erst etwas über ein halbes Jahr zusammen, aber wir sind uns beide sehr sicher mit unseren Gefühlen. Am Ende diesen Monats habe ich fristgerecht meine Wohnung gekündigt und werde in wenigen Tagen bei ihr einziehen. Ihre Wohnung liegt um einiges zentraler, ist billiger und hat zudem einen romantisch verwilderten Garten, den wir frei gestalten können.
Morgen wollen wir ins Gartencenter fahren, um uns eine Magnolie auszusuchen.