Die Marquise von Ö

(leider spielt die Marquise in dieser Geschichte gar nicht mit, geschweige denn gab es sie jemals, aber der Titel ist halt so schön eingängig.)

Jetzt befinde ich mich also in Isolation. Schon wieder: Und das hängt nicht mit dem Virus zusammen…nennen wir es respektvoll C… denn ich habe einen Arbeitsvertrag angenommen, der mich ein weiteres Mal in die Provinz geführt hat. Ich kann gar nicht sagen, wie oft mir das bereits passiert ist. Naja passiert ist wohl der falsche Ausdruck. Es ist ja nicht so, dass ich zur Unterschrift gezwungen wurde. Denn im Grunde mache ich meine Arbeit sehr gerne. Mein Beruf bringt es allerdings mit sich, das ich durch ihn in den meisten Fällen in, im Dämmer liegende Dörfer oder Kleinstädte, ohne vorhandene Kulturstruktur komme. Meistens ist es am Feierabend dann so, dass ich die einzige Kneipe betrete, deren Stammtrinker sich schwarmintelligenzgesteuert in einer fließenden Bewegung umdrehen und die Gespräche verstummen. So lange, bis ich mit einem entschuldigendem, zittrigen Lächeln irgendeinen freien Platz im Abstand von ungefähr 1,5m zum Rest der Gäste eingenommen habe und ein Bier bestellt habe. Irgendwann setzen dann die Gespräche wieder ein, aber ich kann die Blicke im Nacken spüren, die mich mustern und einschätzen wollen. Wahrscheinlich sehe ich einfach zu Großstädtisch aus. Zumindest wenn man noch nie in einer Großstadt war.
Dieses Mal bin ich also in einer Stadt gelandet die nicht beachtet im Schatten einer entfernt liegend Metropolregion ihren Dornröschenschlaf schläft. Vom Prinzen fehlt hier jede Spur. Abgesehen davon ist grad auch echt nicht die richtige Zeit für einen Kuss.
Nennen wir die Stadt also liebevoll Ö.
Es gibt dort ein Programmkino, eine Saunalandschaft und genügend Cafes, die meinen Hang zu zuckrigen, sahnehaltigen Torten und im Kännchen servierten Kaffee befriedigen könnten. Könnten. Klar, denn auch in Ö gilt das Kontaktverbot, auch in Ö hat die Gastronomie geschlossen. Und auch in Ö mißtraut man plötzlich wieder Fremden.
Man hustet vorschriftsgemäß und dabei kann man fast lautlos, ein „Wir wollen hier keine Fremden“ rausröcheln. Nein, das ist wirklich zu lang um es in die Armbeuge zu husten, aber Abstand sollte der Neue vom Alten schon halten. Das kann man auch durch einen langen, stechenden Blick zum Ausdruck bringen, unterstrichen durch das Ausspucken der eigenen infektiösen Rotze auf den Boden. So als Warnung.
Die mittlerweile übliche Begrüßung in Ö ist ein freundliches: „ Bleibet Se weg“.
Dieses Mal also Ö.
Ohne allzu verächtlich gegenüber ländlichen Gebieten klingen zu wollen, möchte ich behaupten, dass es in Ö sehr wahrscheinlich während C nicht viel anders ausschaut als vor C. Mehr wie 2 Menschen auf einem Haufen, wird es hier nur am einzigen Büdchen, welches nach Ladenschluss noch Bier ausgibt, gegeben haben. Ansonsten bleibt man unter sich, grillt im eigenen Garten und grüßt über eine hohe, gepflegte Hecke den weit genug entfernten Nachbarn. Doch während der Rest der Ö-inger nun im von öffentlichen Stellen nahegelegten Hausarrest ihre schlechter werdende Laune an den Kindern und Hautieren ausläßt, ist meine Stimmung konstant gut. Nicht zuletzt liegt dies daran, dass ich im Gegensatz zu Anderen, sinnvolle Dinge gehamstert habe. Hamstern ist nicht unbedingt das passende Wort. Aber da einkaufen hier in Ö (vor und nach C) das einzige Freizeitvergnügen darstellt, sammeln sich zwangsläufig Dingen an, die man so schnell gar nicht wegkonsumieren kann. Dadurch ist mein Vorrat an Alkohol groß genug um auch die langweiligste Lage, sei es nun C oder Ö, geistig gesund zu überdauern.
Mehr Sorge bereitet mir da mein Äußeres. Denn ich glaube nicht, dass es stimmt, wenn der Gesundheitsminister sagt, das man kaum einen Unterschied wahrnehmen kann, wenn man sich die Haare selber schneidet anstatt zum Friseur zu gehen. Ich habe es versucht und trage bei der Arbeit nun eine selbstgestrickte Mütze. Richtig, selbstgestrickt. Ich habe nämlich den Rat von Experten beherzigt und die Zeit die mir nun so reichlich zur Verfügung steht, genutzt um endlich die Dinge zu tun, zu denen ich nie kam. Ich bin mittlerweile recht gut im Stricken. Meine Fensterscheiben in den angemieteten Wohncontainern sind sauber und ich mache seit neuestem ganz passable Gemüsemaultaschen. Beim Ausbau meiner bisher brachliegenden Fähigkeiten, sehe ich die Krise eindeutig als Chance.
Da ich nun in der Lage bin, meine Zeit sinnvoll zu verbringen, stört es mich auch kaum, dass ich mit meinen Kollegen in einem viel zu engen Quartier zusammengepfercht bin. Normalerweise würden wir abends wohl draußen grillen um der Enge zu entkommen. Denn Grillen ist so neutral und universell, dass man es mit jedem noch so langweiligen Menschen machen kann.
Allgemeinplätze über Grillgut und die dazugehörige Biersorte sind ungefährlich. Man sollte eben nur nicht zu vegetarisch daher kommen, um es in so einer aufgeladenen Situation nicht zu einer Eskalation kommen zu lassen.
Naja, Aber sie wissen es bereits. Grillen ist auch nicht mehr erlaubt.
Apropos Eskalation.
Einer solchen bin ich jüngst nur knapp entgangen. Der Auslöser war der Umstand, das ich mit meinen systemrelevanten Kollegen in einem unerlaubten Vierergrüppchen zum Einkaufen gegangen bin.Wurde dieses Verhalten erst nur mit Missbilligung bedacht, wurde die Empörung deutlicher je näher wir dem Stadtzentrum ( nennen wir es Kaufland) kamen und kulminierte schließlich in Zusammenrottung von verschiedenen Zweiergruppen, die sich bereits ihre Einmalhandschuhe überzogen, um uns an die Abstandsregelung zu erinnern. Glücklicherweise trauten sie sich dann doch nicht nah genug an uns heran. So gelang es uns mit einem frisch verseuchten, undesinfizierten Einkaufswagen, ohne den man seit gestern nicht mehr in einen Supermarkt eingelassen wird, unsere Besorgungen zu erledigen.
Seitdem habe ich wieder genügend Süßigkeiten, Chips und Alkohol und werde damit auch diese kontaktarme Woche unbeschadet überstehen.